2013-04-04 14:24
Porträt: Friedrich Cerha
Madrid
Kaum jemand hat das musikalische Leben Österreichs der letzten Jahrzehnte so intensiv mitgestaltet wie Friedrich Cerha. Am bekanntesten mag er wohl als Komponist sein, als welcher er sich neugierig mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen auseinandersetzt, neuartige Kompositionsweisen prägte und der von sich selbst behauptet, keinen Stil zu haben. Doch auch als Leiter diverser Ensembles, Dirigent und durch seinen unermüdlichen Einsatz für (Neue) Musik und deren Vermittlung ist er weithin bekannt; nicht zuletzt als Leiter der IGNM, Kompositionslehrer und für die Herstellung des III. Aktes der von Alban Berg fragmentarisch hinterlassener Lulu. Und noch vieles mehr ist in den inzwischen zahlreich vorhandenen Publikationen über Cerha zu lesen. Doch sind es nicht die einzelnen Tätigkeiten, die das Schaffen Cerhas ausmachen. Vielmehr ist es die einerseits beharrliche Kontinuität, mit der sich der 1926 Geborene dem Musikleben und dessen Gestaltung hingibt, andererseits ist es aber auch die undogmatische Herangehensweise und das Integrieren von Unterschiedlichem, das die Persönlichkeit Cerhas ausmacht.
Zunächst zu seinem kompositorischen Schaffen: Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Cerha in regem Austausch mit dem Art Club und mit seinen avantgardistischen Bestrebungen, erhielt durch Joseph Polnauer Einblicke in die Ansichten Schönbergs und engagierte sich als Geiger damit, die Werke seiner Kollegen aus diversen Kompositionsklassen zu spielen. Als er sich in den Jahren 1956 bis 58 bei den Darmstädter Ferienkursen mit den aktuellen Kompositionsweisen vertraut machte, galt sein Interesse ebenso dem Serialismus wie den Zufallsoperationen John Cages. Und so schloss sich der stets Machtstrukturen und Zugehörigkeiten Hinterfragende keiner Schule an, sondern erarbeitete sich unterschiedliche Kompositionsmethoden, veränderte diese nach seinen eigenen Vorstellungen und ließ sie so in sein Schaffen einfließen. In Kompositionen wie dem auf „Exercises“ (1962-67) beruhenden „Netzwerk“ (1981) lässt er diese Heterogenität an Stilen nebeneinander bestehen und kombiniert avantgardistische Hauptteile mit historisch rückwärtsgewandten „Regressen“. In anderen Werken wie „Spiegel I-VII“ (1960-72) findet er zu einer Kompositionsweise, in der sich entweder statische Strukturen bilden, oder musikalische Impulse stringent weitergeführt werden. Das An- und Abschwellen des Orchesterklanges in „Spiegel VII“ lässt ein mächtiges, sich scheinbar organisch entwickelndes Klangkontinuum erstehen – Klangmassen, wie sie auch in „Fasce“ oder „Mouvements“ zu finden sind. Was trotz der stilistischen Vielfältigkeit der kompositorischen Mittel die Werke Cerhas verbindet, ist die Fasslichkeit. Denn durch den kontinuierlichen Spannungsauf- und Abbau, durch die Entwicklung von singulären oder mehreren sich überschneidenden Linien, die sich stets nachvollziehbar durch die einzelnen Kompositionen erstrecken, gelingt es, die Neugier auf das Kommende zu entfachen.
Zum „Spiegel“-Zyklus wie auch zu „Netzwerk“ existiert ein exaktes Konzept für die Umsetzung auf der Bühne, das keine Handlung im engeren Sinne verfolgt, sondern sich mit den Eigenschaften der „Gattung ‚Mensch’“ auf prinzipieller Ebene auseinandersetzt und das Cerha als „Welttheater“ bezeichnet. Geprägt durch die Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs, als er von der Deutschen Wehrmacht eingezogen wurde, desertierte und mit dem Wiederstand in Kontakt kam, beschäftigt er sich mit den „… Fragen nach den Möglichkeiten und Chancen des Individuums, mit Macht umzugehen …“ Diesen geht er auch durch die Thematik der Opern „Baal“ (1974/81), Der „Rattenfänger“ (1987) und „Der Riese vom Steinfeld“ (2002) nach, in denen stets Außenseitern die Aufmerksamkeit zukommt. In Instrumentalwerken wie dem Violinkonzert oder dem Saxophonkonzert ist es das Verhältnis eines Instruments in Konfrontation mit der Masse des Orchesters, in dem sich das Verhältnis eines einzelnen Individuums zur Gesellschaft spiegelt. In „Eine Art Chansons“ oder in der „Keintate“ setzt er sich auf der Basis von Gedichten u. a. von der Wiener Gruppe mit dem Wienerischen auseinander – auch hier laufen diverse Stilrichtungen mit der Tradition des Wienerischen zusammen, kontrastieren einander, werden verfremdet und finden so zu neuer Gestalt.
Doch mit der Tätigkeit des Komponierens alleine ist es für Cerha nicht getan. Von den Eindrücken in Darmstadt beflügelt, gründete er 1958 gemeinsam mit Kurt Schwertsik das Ensemble die reihe. Die Namensgebung ist Programm, denn es sollte nicht bei einer einzigen Aufführung bleiben, Ziel war die kontinuierliche Verbreitung Neuer Musik. Und so brachte man das Wiener Publikum mit Werken der Klassischen Moderne ebenso in Kontakt wie mit jüngsten Kompositionen – eine Konfrontation, die u. a. mit der Aufführung des Klavierkonzerts von John Cage zu einem veritablen Skandal führte. Doch davon ließen sich die Beteiligten nicht abschrecken und so hat das Ensemble bis heute Bestand. In den 1980er Jahren rief Cerha gemeinsam mit Hans Landesmann die Konzertreihe „Wege in unsere Zeit“ im Konzerthaus ins Leben, um dem Publikum die Gelegenheit zu bieten, sich mit dem zeitgenössischen Musikgeschehen vertraut zu machen. Dass sich Cerha nicht auf einen Stil beschränkt, gilt nicht nur für seine Kompositionen, sondern auch für seine Laufbahn als Dirigent. So schloss auch die Tätigkeit für die reihe nicht aus, sich gleichzeitig durch die Leitung des Ensembles „Camerata Frescobaldiana“ für die Aufführung von Werken des italienischen Frühbarock auf alten Instrumenten zu engagieren.
Auch mit seinen 85 Jahren ist Cerha aktiv, widmet sich auf seinem Landsitz in Maria Langegg, auf dem er selbst eine Kapelle errichtet hat, dem kreativen Schaffen. Nicht nur kompositorisch betätigt sich der vielseitig Interessierte, sondern auch als Maler und Bildhauer. Nicht zuletzt gilt seine Leidenschaft – wie auch einigen anderen Komponistenkollegen – der Schwammerlsuche, bei der er Ruhe für seine übrigen Tätigkeiten findet. Und so darf man wünschen, dass dies auch weiterhin noch so bleibt.
Doris Weberberger
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